Arbeitsleistung vs. Arbeitszeit
Im Juni 2019 schrieb ich im Newsletter folgenden Text:
Laut Europäischem Gerichtshof müssen bald alle Arbeitnehmer*innen stempeln!
Was ist passiert? Eine Gewerkschaft in Spanien hat geklagt: dort besteht nur die Pflicht zur Aufzeichnung der Überstunden, jedoch nicht der geregelten Arbeitszeit. Die Gewerkschaft argumentierte, dass die Überstunden nur ersichtlich werden, wenn wirklich alle Arbeitsstunden erfasst werden. Die obersten EU-Richter (EuGH) entschieden zugunsten der Gewerkschaft und formulierten eine Vorgabe für alle EU-Mitgliedsstaaten, Arbeitgeber zur vollständigen Arbeitszeiterfassung zu verpflichten. Denn nur so lasse sich wirklich überprüfen, ob die geregelte Arbeitszeit überschritten wird.
Es werden bereits große Auswirkungen auf den Arbeitsalltag befürchtet: nicht in allen Branchen ist es üblich die Arbeitszeit minutiös zu erfassen. Eine Herausforderung bringen Homeoffice sowie Außendienst mit sich: wie werden diese Arbeiten zukünftig erfasst?
Eine Lösung könnte eine App auf dem Smartphone und PC sein, um die Arbeitszeit zu registrieren. Was ist aber mit einer kurzen E-Mail zu Hause am Abend, oder einem Telefonat auf dem Weg zur Arbeit? Auch diese sollen verpflichtend erfasst werden.
Aber kein Arbeitgeber muss jetzt panisch werden! Jeder Mitgliedsstaat entscheidet selbst über die Details der Umsetzung. Mal sehen, wie lange die Umsetzung in Italien dauert…
Was ist seitd dem passiert?
Seit dem EuGH-Beschluss vom 14. Mai 2019 hat sich unser Leben stark verändert..
Der Brexit wurde abgeschlossen. Die Pandemie überlagerte für 2 Jahre alle Themen. Der Ukrainekrieg und die daraus resultierende Energiekrise bestimmen unser derzeitiges Leben. Italien hat seit dem Beschluss des EuGH die dritte Regierung.
Aus diesen Gründen ist es vielleicht auch verständlich, dass ein Thema wie die Arbeitszeiterfassung nicht an oberster Stelle steht. Trotzdem, ich bin immer noch gespannt, wie Italien das Urteil des EuGHs umsetzen wird. Aktuell habe ich keine Informationen zum Thema für Italien gefunden.
Seit Corona haben sich die verschiedensten Arbeitsmodelle entwickelt. Mitarbeiter arbeiten vermehrt ohne feste Bindung an Ort und Zeit. Unternehmen nutzen diese Möglichkeit, um besser am aktuellen Arbeitsmarkt zu bestehen und verschaffen sich so einen echten Vorteil bei Neueinstellungen. Arbeitnehmer*innen erhalten die Möglichkeit Arbeit und Privatleben leichter unter einen Hut zu bekommen.
Was bedeutet dies nun für die Zeiterfassung?
Was bedeuten nun die zu erwartenden Neuregelungen? Ist es tatsächlich das Ende der Vertrauensarbeit? Werden Mitarbeiter nun in jeder Minute ihrer Arbeitszeit überwacht?
Die Arbeitszeiterfassung ist nicht als Zeichen von Leistungsüberwachung und mangelndem Vertrauen zu verstehen. Vielmehr bietet sie Arbeitnehmer*innen und Arbeitgebern mehr Transparenz in Bezug auf geleistete Überstunden und fördert faire Arbeitszeiten. Zudem kann die Zeiterfassung als zusätzliches Frühwarnsystem für Fehlentwicklungen (z.B. Überlastung von Mitarbeiter*innen) genutzt werden.
Smart Working und Zeiterfassung schließen sich grundsätzlich nicht aus, vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Arbeitgeber gehen vermehrt auf die Wünsche und Bedürfnisse der Arbeitnehmer ein und gestalten gemeinsam flexible Arbeitsmodelle.
Sicher ist, dass Unternehmen mehr auf Digitalisierung setzen müssen, da sich z.B. die Arbeitszeit im Homeoffice mit herkömmlichen Systemen wie der Stechuhr schlecht erfassen lässt.
…und alle sind einverstanden?
Carsten Maschmeyer ist Unternehmer und seit Jahren fördert er im TV-Format „Höhle der Löwen“ Gründer*innen. Auf LinkedIn veröffentlichte er kurz nach Bekanntmachung des deutschen Vorstoßes für die Umsetzung der EuGH-Richtlinien ein Statement, welches mit dem Satz beginnt: „Erfasst endlich Arbeitsleistung anstatt der Arbeitszeit!“.
Er scheint also kein Freund der Stechuhr zu sein. Sicherlich wird er grundsätzlich nichts gegen Arbeitszeiterfassung haben, aber er greift einen für Arbeitgeber wunden Punkt auf: Was ist für Unternehmen wirklich wichtig?
Nehmen wir an, wir haben zwei Mitarbeiter mit denselben Aufgaben:
Mitarbeiter A kommt pünktlich um 7.30 Uhr ins Unternehmen, setzt sich an seinen PC und verbringt den Großteil seiner Arbeitszeit mit privaten Angelegenheiten, unterbrochen lediglich von ausgiebigen Kaffeepausen und einigen wenigen „nervenden“ Arbeitstelefonaten. Nach 8 Stunden wird der Arbeitsplatz pünktlich verlassen.
Mitarbeiter B kommt 5 Minuten später, setzt sich umgehend an seinem Arbeitsplatz. Arbeitet strukturiert seine Liste ab und erledigt nach und nach seine Aufgaben. Kaffeepause macht er nur um mal kurz den Kopf freizubekommen, setzt sich danach aber wieder an seine Arbeit. Nach 6 Stunden hat er seine Liste abgearbeitet und möchte daher früher nach Hause gehen.
Klar, die zwei Beispiele sind etwas übertrieben. Könnten wir das Gehalt wirklich nur an Leistung koppeln, ohne die Arbeitszeit zu berücksichtigen? Was denkst du?